Nur genau oder schon Perfektionist?

Kennen Sie das auch? Sie haben gerade die Spülmaschine eingeräumt und schwups steht der Perfektionist daneben und räumt die komplette Maschine um. „Echt jetzt? Hat doch alles reingepasst. Dann soll er sie doch gleich selber einräumen. Nächstes mal lasse ich das Geschirr stehen!“ schießt es Ihnen durch den Kopf.

Es ist nur so, dass der Perfektionist es ja gar nicht böse meint. Er kann einfach nicht aus seiner Haut und handelt fast schon zwanghaft. Die Spülmaschine so zu lassen, wie Sie sie eingeräumt haben ist ihm schier unmöglich. Es würde ihn unglaublich viel Kraft kosten. Und sind wir ehrlich, er bekommt tatsächlich mehr Geschirr unter.

 

Unterschiedliche Ausprägungen

Perfektionismus hat viele Facetten. Ich zum Beispiel sortiere Geldscheine in meinem Geldbeutel immer so, dass alle mit dem gleichen Bild vorne liegen und natürlich in aufsteigender Reihenfolge. Selbstverständlich bin ich der festen Überzeugung, dass das nicht im Geringsten mit Perfektionismus zu tun. Es ist halt einfach übersichtlicher im Geldbeutel. Naja, irgendeine Marotte hat dann ja wohl jeder.

Schwieriger wird es da schon, wenn sich der Perfektionismus so viel Raum genommen hat, dass er die Betroffenen in ihrem Alltag einschränkt. Wer zum Beispiel immer Einser schreiben muss – und zwar für sich selbst, nicht für die Eltern – setzt sich unter Druck. Und wird es dann doch einmal eine Zwei entlädt sich dieser Druck nicht selten in Wutausbrüchen. Typischerweise dann auch noch mit selbstzerstörerischen Aussagen wie „Ich bin einfach zu blöd dafür!“ oder „Ich kann ja eh nichts!“ Sie als Eltern stehen dann hilflos daneben. Jedes Gegenargument verschlimmert die Situation zusätzlich.

 

Fehler gehören zur Entwicklung

Falls Sie die Idee haben sollten, Ihrem Kind nun zu erklären, dass Fehler menschlich sind, scheitern nun mal zum Leben dazugehört und bei niemandem (wirklich niemandem!) immer alles rund läuft, verwerfen Sie den Gedanken. Das kommt bei Perfektionisten nicht an. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass wir aus unsern Fehlern lernen dürfen und dass wir sie zwingend für unser Entwicklung brauchen. Egal in welchem Alter. Und auch ich mag den Spruch: „Aus Fehlern wird man klug, drum ist einer nicht genug.“ Perfektionisten gegenüber würde ich ihn allerdings niemals erwähnen. Die verstehen das nicht.

Das Credo des Perfektionisten ist es nun einmal, keine Fehler zu machen. Für ihn sind Fehler jeglicher Art eine Bedrohung. Alles muss immer ganz genau und ganz akkurat sein. Ich weiß, wovon ich rede. Mein schon längst verstorbener Vater hat, solange er es selbst konnte, die Hecke ums Grundstück mit Richtschnur und Wasserwaage geschnitten. Kein Witz. Und dann war er völlig irritiert, dass er keinen Gärtner finden konnte, der den Job übernimmt. (Nur falls Sie sich jetzt wundern, mein Vater hatte sein Leben durchaus super im Griff. Er war erfolgreich im Job und stand mit beiden Beinen auf dem Boden.)

 

Ausweglos? Nein!

Weshalb erzähle ich Ihnen das? Es zeigt meiner Meinung nach sehr deutlich, dass Perfektionisten nicht aus ihrer Haut können. Ich bin mir absolut sicher, mein Vater hätte niemals jemand anderem geraten, auf die gleiche Weise die Hecke zu schneiden. Weshalb sehen Perfektionisten dann nicht ein, wie absurd ihr Verhalten manchmal ist? Nun, meiner Erfahrung nach ist der kleinste gemeinsame Nenner Angst. In meiner Praxis erlebe ich häufig, dass Perfektionisten eine tief innen sitzende, diffuse und oftmals irrationale Angst haben. Sie haben so viel Angst vor Veränderung, dass sie lieber tun, was sie kennen als etwas neues auszuprobieren. Auch dann, wenn ihnen bewusst ist, wie sinnvoll eine Veränderung wäre. Diese unbewusste Angst schafft es nicht in das Bewusstsein und bricht sich in Form von Perfektionismus eine Bahn. Meiner Erfahrung nach sind nicht regelhaft integrierte frühkindliche Reflexe eine mögliche Ursache. Die gute Nachricht: Ich erlebe in meiner Praxis, dass sich diese in jedem Alter noch integrieren lassen. Das dauert zwar ein bisschen, ist aber machbar.

 

Quintessenz

Perfektionismus ist nicht immer schlecht oder hinderlich. Wenn er allerdings die eigenen Handlungsalternativen einschränkt, sollte man eine Weg finden, damit besser umgehen zu können.

 

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Nachtrag

Nur falls Sie sich noch fragen, wie das bei uns mit der Spülmaschine läuft: In meiner Familie bestückt jeder die Spülmaschine und stellt sie an, wenn sie voll ist. Aber wenn sie richtig voll wird, ist das mein Job. „Kannst du das bitte machen?“ höre ich dann oft. Ich bin die Ungeschlagenen Meisterin im Spülmaschinen-Tetris! Sie ahnen es vielleicht, ich war auch einmal eine Spülmaschinen-Perfektionistin. 😉