Perfektionistisch veranlagte Kinder stehen unter großem Druck. Wer immer alles ganz genau machen muss, verbraucht unglaublich viel Energie. Noch dazu können diese Kinder nicht aus ihrer Haut. Sie merken zwar, dass sie ständig über ihre Grenzen gehen und sind sich dessen meist durchaus bewusst, können aber gar nicht anders.
Backen als Herausforderung
Dieses Dilemma erlebe ich häufig in meiner Praxis. Bereits Kindergartenkinder sind betroffen. Neulich erzählte mir eine Mutter, dass sie mit ihrer fünfjährigen Tochter nur noch Hefezopf backt. Jeder Kuchen, der mehr Zutaten benötigt, ist für sie undenkbar. Ihre Tochter nimmt es ganz genau: Wenn im Rezept 500 g Mehl angegeben sind, dann kommen da auch 500 g Mehl rein. Nicht 501 g oder 499 g. Wird die gewünschte Menge nicht spätestens im dritten Versuch erreicht, gibt es gerne mal einen Wutausbruch. Die junge Dame pfeffert den Löffel in die Ecke, stampft wütend mit dem Fuß auf und schimpft mit sich selbst: „Nie schaffe ich das! Ich kann gar nichts!“ Und dann kullern nicht selten Tränen.
Ein solches Verhalten kenne ich von perfektionistisch veranlagten Kindern gut. Sie haben alle einen extrem hohen Eigendruck, gepaart mit einem wenig ausgeprägten Selbstbewusstsein. (Bei erwachsenen Perfektionisten ist das übrigens nicht anders. Lediglich ihr Umgang damit hat sich im Laufe ihres Lebens geändert.)
Wutausbrüche sind nicht so schlecht
Ich weiß natürlich schon, dass diese Wutausbrüche für Eltern sehr belastend sein können. Dennoch sind sie mir lieber. Die Alternative wäre nämlich ein stiller Rückzug. Wer sich mehr und mehr in sich selbst zurückzieht ist auch für mich schwerer zu erreichen. Meiner Erfahrung nach verstecken die stillen, zurückgezogenen Kinder ihren weichen Kern dann häufig auch in einer harten Schale. Das macht den Umgang mit ihnen für alle beteiligten noch schwerer.
Die Angst vor Fehlern
Perfektionistische Kinder treiben sich selbst zur Höchstleistung an. Unter 100 % machen sie es nicht. Was übrigens noch nicht heißt, dass die Schule problemlos läuft. Denn häufig machen diese Kinder die Erfahrung, dass sie eben doch Fehler machen. So wie alle anderen in ihrer Klasse nun mal auch. Nur für Perfektionisten ist es unerträglich, etwas falsch zu machen bzw. etwas nicht hin zu bekommen. Vor lauter Angst, einen Fehler zu machen, tun sie dann lieber nichts.
Hoher Eigendruck
Bedingt durch den hohen Eigendruck haben die meisten betroffenen eine sehr hohe Leistungsbereitschaft. Diese führt, meiner Erfahrung nach, gerne mal in eine Überforderung. Wer ständig überfordert ist, „dreht den Motor ständig zu hoch“. Die gut gemeinten Ratschläge der Eltern: „Nimm dir das nicht so zu Herzen“ oder „Das ist doch gut genug“ können perfektionistische Kinder nicht umsetzen. Wie gesagt, sie können nicht aus ihrer Haut.
Eltern tun gut daran, ihre Kinder mit liebevollem Verständnis zu begleiten. Es ist keine Frage der Erziehung und Sie als Eltern haben nichts falsch gemacht. Hinterfragen Sie bitte auch nicht, ob sie zu viel Ehrgeiz gefördert haben. Das Thema ist komplex und es gib nicht nur die eine Antwort. Meiner Erfahrung nach stecken dahinter meist frühkindliche Reflexe, die nicht sauber ausgereift wurden.
Quintessenz
Ich glaube nicht, dass Kinder besondere Verhaltensweisen entwickeln, um Aufmerksamkeit zu erhaschen oder ihr Umfeld zu provozieren. Vielmehr erlebe ich täglich in meiner Praxis, dass ihnen die Handlungsalternativen fehlen und sie dadurch etwas kompensieren.
Sie leiden unter dem Perfektionismus Ihres Kindes?
Lernen Sie mich unverbindlich in einem ersten Telefonat kennen. Buchen Sie sich gerne ein kostenfreies 15-minütiges telefonisches Erstgespräch und wir besprechen in Ruhe, wie ich Sie und Ihr Kind unterstützen kann. Den Link zum Erstgespräch finden Sie direkt unter diesem Beitrag.